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“Wie schade dass Sie nicht hier sind…”

Lettere di Marie Thurn und Taxis a Rainer Maria Rilke
Segnatura: 44
Data completa: 1912 ago. 08
Descrizione: Briefwechsel: n. 111
Trascrizione: Wie schade daß Sie nicht hier sind Dottor Serafico! Ich finde es ist Ihre Pflicht Parsifal zu hören - ohne Spaß das sollte Ihr spezielles Eigenthum sein - Bayreuth ist übrigens sehr anders geworden -ich erinnere mir die ersten Jahre wo ich hinkam - cela se perd dans la nuit des temps - wie viele Menschen welche es als höchste Elegance betrachteten herzukommen - was für Toiletten, was für Perlen. Man hörte eigentlich nur englisch und französisch - besonders französisch - Man sah lauter Freunde und Bekannte - alles war ungeheuer lustig und aufgeräumt - voriges Jahr war ich verhindert, also sind es 3 Jahre her seitdem ich zuletzt hier war. Ich bin gestern gegen 1 Uhr mit Placci angekommen, wir haben zu Hause gegabelt -aber schon beim Ankommen frappirte mich etwas undefinirbares - freilich es regnete - aber doch schienen mir die Straßen so leer, das Festliche war nicht da - Ich habe eine kleine Wohnung in der Lisztstraße ganz nahe von Wahnfried - die Fenster von meinem Parterrezimmer sehen auf einen kleinen Garten hinaus, der ganz mit Clematis und Rosen gefüllt ist - dann kommen die großen Bäume des Stadtgartens - Sie rauschen melancholisch, denn auch heute regnet es. Gestern war der erste Parsifal - das war herrlich wie immer noch herrlicher denn ich habe selten eine solche Vollkommenheit der Chöre und eine solche Intensität des Spieles (Van Dyck - Mildenburg) gehört und gesehen. - Aber denken Sie sich Dottor Serafico ! nicht ein bekanntes Gesicht - nicht eine Silhouette von der man sich denken könnte das muß ein Bekannter sein - lauter garstige, schlecht angezogene, unsoignirte Menschen - Man hört nur deutsch - als die Kronprinzessin in ihre Loge eintritt dreht sich alles um und gafft sie an wie ein Weltwunder. Wahrscheinlich ist dieses Publicum viel ernster, viel mehr erfüllt und andächtig - doch hat Bayreuth etwas von seinem bizarren Charme als sèjour verloren, und man hat doch das Gefühl es geht zur Neige. Und es wäre schade, ewig schade! Heute noch ein Parsifal, und morgen fahre ich nach Hause, in einem Schub. Berenson den ich im Herfahren in Carlsbad besucht habe hat mich beschworen mich wieder im Zurückfahren dorten aufzuhalten - aber ich werde es doch nicht thun -ich fürchte es würde mir zu viel Zeit nehmen. In Lautschin finde ich momentan nur meine Schw(ieger) Mutter und die lieben babies - alle Gäste sind fort - Alex ist in Ungarn, Pascha auf 2-3 Tage in München. Aber wir erwarten wieder Leute - einige Engländer - Capt. Barton mit seiner Frau (Sie erinnern sich wohl) etc. etc. Aber jetzt muß ich Ihnen danken, vielmals danken für Brief und Buch - Ich habe den «Cornet» wieder gelesen mit großer Freude, und Ihr Brief war auch köstlich und rasend interessant. Wissen Sie Dottor Serafico ich bin froh daß sowohl die Duse als die Poletti abgeschoben sind - sonst wären Sie wirklich wie von den Ameisen aufgefressen worden. Placci hatte dasselbe Gefühl, er kennt ja die D(use) seit vielen Jahren und sagt ganz wie ich daß man ihr nicht helfen kann - und was die andere anbelangt so haben Sie sehr recht keine Verantwortung zu übernehmen, das wäre wirklich ein bißl viel verlangt - Gott wie haben Sie recht mit dem «Staub» der sich zwischen Menschen bildet - und gibt es etwas schmerzlicheres als davon gewahr zu werden - Ich finde aber gar nicht daß es ein Glück ist daß von der «weißen Fürstin» nicht mehr die Rede war - es ist so schön daß es doch hätte probirt werden sollen - schließlich das große Publicum ist doch nicht allein maßgebend - Gewiß ist die erste Ausgabe des «Cornet» nicht so gegangen - ich freue mich für die zweite, wundere mich aber gar nicht! Danke auch für die Briefe an «Gustgen», Placci kannte sie nicht - ich habe ihm indessen den Cornet gegeben. Kassner hat mir geschrieben (und mir die geänderte Moral, der Musik geschickt) er will um den 20. Aug(ust) nach Lautschin kommen, dann in Sept(ember) nach London wo er mich durchaus haben will - er behauptet Bnin Knoop hätte ihm gesagt daß Sie auch hinkommen - ist es wahr ? Pan‘s Garden habe ich nicht - dafür John Silence, ein paar hübsche «Geistergeschichten» In Sept(ember) möchte ich aber doch jedenfalls weg von Lautschin denn es wird mir zu traurig sein dorten zu bleiben wenn die Kinder wegfahren - und auch die Erichs gehen zu den Eltern Kinsky - aber ich weiß nicht ob meine arme alte Schw(ieger) Mutter die heuer difficiler ist denn je dazu zu bringen sein wird nach Gmunden zu fahren - vederemo! in dem Falle ist vorderhand projectirt etwas nach Duino (wonach ich mich unendlich sehne) zu fahren und zwar mit Alex, dann eventuell auch ein paar Tage Venedig ­ Gegina in Gleichenberg vielleicht zu besuchen - Sonst werde ich mich heuer wenig rühren können - Und nun Schluß, lieber Freund, ich kann Ihnen nicht sagen wie sehr mich der Brief des «Rülke» interessirt hat und Ihre Auffassung desselben - aber ich beweine absolut nicht daß Sie nicht wie ein Maulwurf plötzlich aus der Erde wieder erschienen sind - Sie wären doch jedenfalls nicht der Doctor Seraficus geworden. Da brauchen Sie unserem Herrgott nicht ins Handwerk zu pfuschen. Allerherzlichste Grüße von mir und frate Lupo MT
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