“Serafico carissimo. Vor allem verzeihen Sie die Maschine…”
Lettere di Marie Thurn und Taxis a Rainer Maria Rilke
Segnatura: 200
Data completa: 1925 feb. 27
Descrizione: Briefwechsel: n. 426
Trascrizione: Serafico carissimo - Vor allem verzeihen Sie die Maschine (ich hasse einen Brief mit Maschine geschrieben!) aber meine dummen Finger haben den Schnee letzthin sehr übel genommen, und wenn ich schreibe thun sie mir schandmäßig weh - also muß ich sie schonen und mit der Maschine geht es. Nur scheint sie mir desaströs auf mein Gehirn zu wirken, also muß ich Sie auch im Voraus wegen einem wahrscheinlich sehr vertrottelten Brief um Verzeihung bitten! Lieber Serafico, alles was Sie thun ist gut gethan und ich bin selbstverständlich sowie Kassner mit allem einverstanden. Bin sehr neugierig auf das Weitere! Tausend Dank auch für die Zeitschrift mit den reizenden Gedichten - aber ich weiß nicht ob ich nicht «les trois Rois mages» doch noch am Liebsten habe. C‘est comme une vieille vieille légende, pleine de naïveté mystique et de «Innigkeit» - (ein Wort das sich nicht übersetzen läßt - ich habe es probirt mit «ferveur» aber es ist nicht ganz das?)
Ich sehe Kassner oft - er hat Pascal übersetzt und arbeitet viel - ist dabei guter Dinge - für mich die größte ressource hier in Wien. Von Alex habe ich vor einer Woche ungefähr, ein gutes Telegramm erhalten aber noch keinen Brief vom Lager. Pascha war in Tunis ist von einer Oase zur anderen frierend!!! gefahren und hat viel gemalt. Was soll man jetzt lesen von französischen Büchern? Ich gestehe daß ich sehr gerne wieder einmal in Frankreich wäre, sonst werde ich mein Französisch ganz vergessen und da ich deutsch nie gewußt habe, italienisch mehr dialect, und Englisch auch vergessen, werde ich zuletzt nur mehr bellen können - oder heulen, wozu man übrigens jetzt in Böhmen où on nous dévalise absolument, genug Grund haben könnte!
Serafico carissimo, wenn es Sie nicht langweilt, könnten Sie mir ein wenig von unserem guten Kerschbaumer in Paris, zu Ihren Freunden, sprechen? Er wird doch einmal später hinkommen müssen, und er ist ganz bestimmt der beste lebende Beethovenspieler. Eben für ernste Künstler das Richtige. Er geht in März nach Rom wo er einige Conzerte hat, dann Mailand, Triest und ende März soll er in Basel sein - es wäre eine gute Gelegenheit um weiter nach Paris zu fahren aber er müßte wenigstens ein Concert mit Honorar gesichert haben, sonst könnte er es nicht leisten - Glauben Sie daß Mad(ame) de Noailles oder Marthe Bibesco etwas dazu thun könnten? Ich frage nur für alle Fälle - und wenn es Sie langweilt, bitte, mettez que je n‘aie rien dit!
Haben Sie Hofmannsthal gesehen? ich hoffe er hat noch meinen Brief erhalten!
Und nun muß ich schließen, lieber Freund, mit den allerherzlichsten Grüßen - sehen wir uns heuer in der Schweiz? Ich möchte sehr gerne, wenn möglich, wieder nach Ragaz.
MT