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“Gestern abends bin ich von Wien zurückgekehrt…”

Lettere di Marie Thurn und Taxis a Rainer Maria Rilke
Segnatura: 146
Data completa: 1921 feb. 23
Descrizione: Briefwechsel: n. 329
Trascrizione: Gestern abends bin ich von Wien zurückgekehrt, lieber Serafico - und fand Ihren Brief - Sie wissen wie mir Ihre Elegien ans Herz gewachsen sind - ich habe mich also rasend geärgert über diese immerwährenden Unterbrechungen - wirklich scheint es fast wie eine böse Absicht von irgendwelchen geheimnissvollen Mächten - die «Unbekannte» muß auch etwas davon wissen .... Aber tout au fond, ist mir gar nicht bang - Was so herrlich angesetzt hat, das hat ein zu starkes Leben - Haben Sie nur Geduld, Serafico carissimo, ich höre die Elegien klingen! Sie fragen mich nach meinen Plänen - ach lieber Freund, kann ich jemals welche machen? Bei mir ist auch ein Schicksal das es außerordentlich unterhalten muß mir immer alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg zu legen - Aber daß ich es Ihnen gleich sage - mein(en) Plan in die Schweiz zu reisen habe ich durchaus nicht aufgegeben - nur war es so schön ausgedacht - ich wollte dann nach Venedig - mein Auto sollte mich in Mestre erwarten und dann nach Florenz und alle meine lieben Städte - Lucca, Siena, Perugia - als Hauptquartier Pascha‘s Villa - Und - Pascha ist in Berlin! gibt seine Villa auf - sagt (und ich glaube er hat recht) daß man in Florenz nichts ordentliches lernt - Er will bald herkommen - Andererseits verdoppelt die gute Giustina meinen Miethzins - Ich kann es ihr zwar nicht übel nehmen in diesen bösen Zeiten, aber es ist doch eine etwas starke Belastung für einige Wochen im Jahr! - So bin ich wieder eigentlich le bec dans l‘eau - Wann werde ich fahren können - soll ich dann nach Venedig - ich hatte mir halb und halb gedacht Sie zu entführen - Dazu der Meinige, qui est ainsi que vous le savez, comme la providence dont les voies sont impénétrables - Et Messieurs mes fils commencent à être tout à fait dans le même genre - et vous ôtent la respiration à chaque instant - Wien ist traurig Serafico; es könnte, glaube ich, sagen: Tout est perdu fors la musique. Aber die, Gott sei Dank und unberufen, die ist geblieben, herrlicher denn je - In der Oper einige Mozarts - Cosi fan tutte - die Zauberflöte, wirklich höchste Vollkommenheit - Wunderbare Conzerte, den letzten Tag eine Nachtigall wo man wirklich an Ovid‘s Metamorphosen denken muß, die Ivogün - Seit der Patti habe ich diese Leichtigkeit des Sanges, dieses Spielen mit den schwersten Aufgabe, nicht mehr gehört gehabt - Während ich Ihnen schreibe geigt Alex im Zimmer daneben - allein ohne Begleitung - daß ihn nie jemand hört wenn er so phantasirt! es ist manchmal so entzückend, aber auch oft so unbeschreiblich melancholisch - merkwürdig bei ihm, nicht? Nie spielt er so vor Leuten - auch der Professor hat ihn niemals so spielen gehört - Unser guter Professor (der keiner ist und sich rasend ärgert über den Titel) ist in Iglau bei seiner Frau Gemahlin die ihn vorgestern mit einem zweiten Mädel überrascht hat - worüber er eigentlich sehr gepitzelt ist - nach seinem Brief zu urteilen - Sein Concert in Wien war wunderschön und er hat eine sehr erfolgreiche Tournee gehabt - Ich hoffe er wird heuer im Sommer bei den Festspielen in Salzburg musiciren - Hofmansthal habe ich gesehen und Strauß - sonst waren keine sehr interessanten Leute (machen Sie kein Schnoferl!) Alice Barbi jetzt Marchesa della Torretta, als italienische Gesandtin - haben Sie sie jemals gehört? Es wird in Wien viel politisirt viel critisirt, viel lamentirt; es wird viel getanzt und viel gestorben, viel gehungert und viel gepraßt. Von unserer ehemaligen Gesellschaft ist fast niemand mehr da - Die welche sich jetzt als Wiener Gesellschaft ausgeben, und - würde - und tactlos - der Entente nachlaufen und in Saus und Braus leben, sind lauter fremde Weiber oder Leute die in früheren Zeiten nicht oder fast nicht gesehen wurden. On n‘a pas gagné au change. Ich schließe Serafico carissimo habe unzählige Briefe zu beantworten - draußen scheint die strahlendste Sonne und ich habe Schneeglocken neben mir - lieben Sie nicht wie ich diesen ganz feinen ein wenig herben Geruch - ach der ganze keimende Frühling ist darinnen - darum liebe ich den März ganz besonders wo man alles ahnt und träumt - Alles Liebe, auch von Alex MT
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