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“Also in Paris sind Sie, Dottor Serafico…”

Lettere di Marie Thurn und Taxis a Rainer Maria Rilke
Segnatura: 61
Data completa: 1913 mar. 09 ?
Descrizione: Briefwechsel: n. 147
Trascrizione: Also in Paris sind Sie - Dottor Serafico - und von Marthe sagen Sie nichts - und doch - ich spüre sie in Ihrem Brief und freue mich daß Sie sich zufrieden fühlen und die Stadt der Städte genießen. Ich habe viele Städte lieber - in Italien allein wenigstens ein halbes Dutzend - oh nein mehr, mehr - aber keine glänzt und klingt so wie Paris - und ich kann mir denken daß man dorten ein geheimes, merkwürdiges Leben leben könnte - dort irgendwo bei der Place des Vosges - oder in der Nähe von der Tour d'Argent - ich meine das kl. Restaurant wo Mr Frederic so fabelhafte canards zubereiten konnte. Ich war dorten mit Mélanie Pourtalès der großen Schönheit des second Empire - die noch so hübsch war hinter ihren Schleiern wie ihr eigenes sehr verblaßtes Pastel - mit George Cain dem Conservator des Carnavalet der uns alle Schrecken der Revolution in den düstersten Ecken von dem alten Paris vorgezaubert hatte - mit dem guten Louis Turenne der für sein Cercle l‘Union, die Rezepte der Chanoinessen von Remiremont für königliche Besuche entdeckt hatte - so können Sie sich denken daß wir fetirt wurden - Aber das müssen Sie wieder nicht denken daß diese culinarischen Erinnerungen mit meinem geträumten Leben in Paris zu thun haben - O Dottor Serafico, ich beneide Sie! Ich denke mir Sie sind der glücklichste Mensch auf Gottes Erdboden (Jetzt ärgern Sie sich wie eine Wanze - con rispetto parlando - aber es ist doch so, - wenn diese merkwürdigen Augen von Ihnen die Alles so merkwürdig so anders sehen, einmal offen wären für Sie selbst.) Also ich werde es Ihnen aufzählen: Sie sind ein großer Dichter und wissen es ganz genau. Sie sind verliebt (nicht raisonniren, Sie sind verliebt und immer verliebt, wer wie und was, ist gleich­gültig) Sie haben ein kleines Atelier in Paris - und es ist März - der ganze wundervolle Frühling klopft an der Thür - Herein! gerufen Dottor Serafico! Schauen Sie - ich bin eine Frau - und eine Frau in meinem Alter, sollte jedes Mal wenn sie sich im Spiegel anschaut sich jedes einzelne Haar ausreißen und dann sich sofort am nächsten Strick aufhängen - ich habe so viel Kummer und so viel Sorge in meinem Leben gehabt daß mir manchmal eiskalt wird wenn ich Maridi - (Gott behüte sie!) die mir so ähnlich sieht (und ich glaube nicht nur physisch,) ansehe - Und doch ein blühender Obstbaum, ein goldener Sonnenstrahl make me wild with delight! Aber andererseits wenn Sie nicht so desperat wären würden Sie wahrscheinlich nicht so wunderbar schreiben. Also seien Sie desperat! seien Sie sehr desperat seien Sie noch desperater! Aber über Ihre Visite in Madrid - ich meine Ihre Karte - trösten Sie sich, denn es war ganz richtig und correct und ich begreife meinen Vetter nicht - es muß eine Confusion gewesen sein - oder war er vielleicht abwesend? Jedenfalls wird er von mir beschimpft. Nein Pia ist leider nicht da. Sie scheint erst jetzt ihre außerordentlich lange und strenge Kur beendet zu haben (es soll die ärgste Art von Tollwuth gewesen sein und diese Trotteln von Ärzte sollen es ihr gesagt haben) und kehrt nach Venedig zurück. Und jetzt geht es mir nicht recht zusammen mit dem Besuch - Maridl kommt, und die Karwoche ist langweilig und wir wollen nach Duino - Vielleicht ging es später - auch im Sommer eventuell - Im Sommer sind Sie jedenfalls in Lautschin nicht wahr? und leben wie Sie wollen, das versteht sich, nur thun Sie‘s dann nie. Ich war miserabel, hatte Influenza - Gegina war recht elend - machte mir Sorgen - um so mehr daß sie fort Geheimnisse mit ihren Kuren erfindet und ich manchmal recht beängstigt bin über diese Erfindungen - Es geht ihr jetzt Gott sei Dank und unberufen viel besser. Auch Fritz war krank - erholt sich in San Remo. Pascha ist in England, sieht seine Kinder, wird aber in wenigen Tagen wieder in Duino sein. Alex kommt heute von Lautschin - die ménage Erich momentan hier. Jetzt wissen Sie alle unsere Neuigkeiten - Ja noch etwas! Miss Ethel Smythe - eine wirklich sehr begabte Componistin (leider eine militante Suffragette,) aber die talentirteste (da fehlt irgendwo ein T) Frau, (musikalisch) die ich kenne - stirbt vor Sehnsucht Ihre «Judith» zu «vertonen» - Was sagen Sie dazu? Darf sie? Sie hat wirklich schöne Sachen geschrieben, aber ich habe ihr gesagt ich werde Ihnen schreiben und Sie hätten das nicht gerne, und würden wahrscheinlich nein sagen - also bitte um Antwort, Sie können gleich abwinken. À propos ich bin beleidigt wegen den Velasquez - höflich - mein Gott - Dottor Serafico wenn wir zusammen gewesen wären, ich glaube ich hätte Sie umgebracht! Und auf diese freundliche Bemerkung hin ziehe ich mich bescheiden zurück mit den allerherzlichsten Grüßen! MT
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