“Wenn mir das Band, von Amor selbst geschlungen…”
Lettere di Marie Thurn und Taxis a Rainer Maria Rilke
Segnatura: 133
Data completa: 1920 gen. ?
Descrizione: Data incerta gennaio 1920?
Briefwechsel: n. 304
luogo incerto
Trascrizione: «Wenn mir das Band, von Amor selbst geschlungen, Wenn Ort und Zeit sich mir im Traum gezeigt
Wie ich dereinst mein eig'nes ich verloren,
Als bitteres, süß - und Weinen, Lust - mir schien,
Dann bin ich nur mehr Gluth, mein Herz nur Feuer
So sehr entflammt durch jenen sanften Geist
Der mir stets nah, daß ich, verglühend,
Genieße - lebe - kein Fremdes mehr mich rührt.
Die Sonne die nur meinen Augen funkelt
Mit Liebesstrahlen mich noch jetzt erwärmt
Wo abend mir wie früher morgen gilt
Und mich entzündet ganz, mich ganz versengt,
Bis daß Erinn‘rung, immer frisch und mächtig
Das theuere Band mir weist - den Ort - die Zeit».
Da haben Sie das Geständniss, Serafico carissimo - aber ich muß Ihnen expliziren wie es kam, denn einer solchen Frechheit wäre ich nicht ohne weiters fähig gewesen. Ich habe Ihnen glaube ich, erzählt von unserm wunderbaren Virtuosen Walther Kerschbaumer, der hier den ganzen Sommer war - er ist ein großer Verehrer von Liszt und hat mir sehr viel von diesem herrlichen noch zu wenig anerkannten Meister vorgespielt, darunter drei entzückende Paraphrasen zu drei Sonetten von Petrarca, zu welchen nur die Nummern angegeben sind. Da W. K. Italienisch kaum versteht, bat er mich ihm eine Idee vom Inhalt zu geben. Und so habe ich es, tant bien que mal - plus mal que bien, gethan -und schicke Ihnen eines davon (CXXIII) zitternd und zagend - Ich weiß nicht einmal, ob es richtig im Versmaß ist!
Natürlich steht Ihnen das kleine Gartenhaus hier, jederzeit zur Verfügung; es läßt sich ganz gut heizen - Sie könnten sichs eintheilen wie Sie wollten und ein Badezimmer hätten Sie auch. Ihre Mahlzeiten könnten Sie dorten haben, würden niemanden zu sehen brauchen außer Sie haben besondere Lust dazu. - Nebenbei, wissen Sie daß Sie noch einen Koffer voller Sachen hier haben?
Ich fürchte daß die guten Fürstenbergs mit ihrem Gebrüll Sie enorm schnell verscheuchen würden. Übrigens ist die Gegend gewiß sehr hübsch dorten, aber gewiß sehr viele Ausflügler. Anfangs Februar werde ich auf 8 bis 10 Tage nach Berlin müssen unsern Boedeker besuchen und außerdem noch einen «Ohrenmann» - Denn diese complizirten Anhängsel fangen an bei mir etwas rebellisch zu werden. In April möchte ich hinunter fahren, sehen was mit dem armen Duino geschehen soll und womöglich ein wenig in Venedig hausen. Aber alle diese Projecte hängen von so vielem ab!
Was Sie mir von Alfred Schuler sagen hat mich riesig interessirt - und ich schreibe Pascha darüber. Ja der ist ganz in seiner Malerei vertieft, und ich habe das Gefühl es ist der richtige Weg - Sie hätten sollen eine Skizze sehen, eine merkwürdige die er kurz vor meiner Abreise gezeichnet hatte - eine Salome - sie kam einen ziemlich steilen Gang herunter zwischen sehr hohen schwarzen Marmorsäulen ganz jung, fast noch ein Kind. Der Oberkörper nackt - ein schwarzer Schurz oben spitzig anfangend sich als steifes Dreieck bis zu den Füßen erweiternd, welche in kleinen schwarzen Pantoffelchen stecken. Die Arme ausgebreitet und straff emporgehoben halten ein breites flaches plateau - darauf das riesige Haupt des Heiligen mit wirrer bluttriefender Mähne -
Ihr Kindergesicht, en face gesehen, lacht, lacht unschuldig und vergnügt mit dem triumphirenden Ausdruck eines Kindes, dem ein guter Witz gelungen ist.
Es war höchst merkwürdig - Der Maler van Konijnenburg stand lang schweigend davor. - Übrigens ich habe in der letzten Zeit einiges Merkwürdiges erlebt, Serafico - vielleicht reden wir davon einmal. - Sie haben mir nichts von Ihrer Erscheinung gesagt??
Ich schließe für heute damit dieser Brief abgeht - habe Ihnen aber noch einiges zu sagen und zu antworten - also werde ich Ihnen wieder schreiben - Indessen nur in Eile alles alles Herzliche.
MT