“Serafico carissimo. Endlich komme ich dazu…”
Lettere di Marie Thurn und Taxis a Rainer Maria Rilke
Segnatura: 121
Data completa: 1918 gen. 08
Descrizione: Briefwechsel: n. 279
Trascrizione: Serafico carissimo - endlich komme ich dazu Ihnen einen ruhigen Brief anzufangen. Ich sitze eben in der Dämmerung beim Kamin im rothen Salon - in den Vasen sind große weiße Chrysanthemen und neben mir ein paar fantastische Orchideen - draußen schneit es ununterbrochen, und es ist eine Stille in der ich immer hundert geheimnissvolle Stimmen summen höre. Also! jetzt bin ich natürlich unterbrochen worden - meine «Intellectuelle» ist herein gekommen, hat mir die Post hereingebracht - Brest-Litowsk, Ludendorff - Lloyd George - Asiago - Kaiser Karl - Cary Czernin, Trotzky - sind mir alle im Galopp durch das Gehirn gesaust -
Aus mit der ruhigen Kaminecke-stimmung -
Ich fange wieder an.
Ich bin wieder unterbrochen worden; Carola ist herein gekommen; ihr Hund hat Zwicken et ce qui s‘en suit. Sie ist sehr beunruhigt und probirt ihm Eucarbon zu geben, auf mein Anrathen.
Ich fange wieder an:
Serafico die Sonette der Louïse Labbé sind reizend; ich kannte sie nicht und Ihre Übertragung
Also ich bin wieder unterbrochen worden: Meine Intellectuelle ist hereingekommen um mir einen Riesenpelzmantel von meiner armen Schwiegermutter zu zeigen den sie mir zumuthet für Schlittenfahrten - Da ich noch lange nicht am Fleck bin und schwach wie eine Fliege, sind Schlittenfahrten weniger eine Momentfrage. - Aber der Teufel soll alle holen - jetzt sind sie endlich weg und es fallt mir nichts mehr ein -
Also nur ganz trocken unsere recentissime:
Alex heute nach Wien. Ein Telegramm von Pascha daß er auch dieser Tage nach Wien kommt -hoffentlich kann er sich hier aufhalten denn ich kann mich unmöglich rühren - Erich ist provisorisch in Prag, kann dadurch oft nach Mzell, Gott sei Dank und unberufen. Wie gerne möchte ich Sie hinbringen Serafico und Ihnen die vier Paarln produciren, - Lori und Hansl geigen, letzterer hat besonders viel Gehör, aber beide viel Freude daran. - Ach es ist zu langweilig Ihnen immer zu schreiben, ich hätte Ihnen so viel zu erzählen - auch einiges recht merkwürdiges - von unserem «Schreiben» - Die «Unbekannte» ist zwar schon lange nicht gekommen, aber ein sehr tüchtiger (nebenbei sehr netter) Arzt, der letzthin hier war - natürlich ungläubig wie alle seinesgleichen - hat sich zu einem Medium selbst entpuppt - Es war sehr sonderbar, und machte ihm einen tiefen Eindruck. Es geschah auch das Merkwürdige daß während dieser Zeit (er war 4 -5 Tage hier) er mir einmal ziemlich aufgeregt erzählte - daß er in der Nacht geträumt hätte ein Patient von ihm wäre gestorben - Er glaube es zwar nicht da es dem Betreffenden viel besser gehe, aber es würde doch eigens sein wenn etc -
Gestern schreibt mir Dr Kr. daß dieser Patient in derselben Nacht gestorben ist.
Ich habe jetzt das letzte Buch von Meyrink, Walpurgisnacht, gelesen. Die Geschichte ist nichts besonders Gutes - aber viele Andeutungen frappirten mich ungemein, Bemerkungen, Schlüsse zu denen ich selber gekommen bin -
Sie kennen Meyrink, nicht wahr? Der Mensch muß vieles wissen in dieser Richtung und ich möchte für mein Leben gern mit ihm sprechen. Aber jetzt kann man höchstens
Also jetzt hört sich alles auf! Jetzt ist die Electrizität ausgegangen - ich habe nach Zündhölzln getappt ohne welche zu finden - in meinem Schlafzimmer hörte ich meine Intellectuelle wie ein verrücktes Kameel herum galoppiren dabei Sesseln und Tische umwerfen -
Endlich eine Kerze angezündet, und darauf augenblicklich das electrische Licht wieder erschienen - aber mit einem deutlichen Grinsen.
Ganz bestimmt sind occulte Kräfte am Werk welche nicht wollen daß ich Ihnen schreibe,
Ich komme wieder zu L(ouïze) Labbé. Ihre Übersetzungen sind wunderschön - vielleicht am allerschönsten wo es nur der Serafico ist der schreibt - denn ich finde sie weniger genau dem Original folgend als Sie es gewöhnlich thun. Ich war Ihnen so dankbar mir sie geschickt zu haben, aber à propos von dem denken Sie daß, wie ich in Wien war, R. H. Bartsch auf einmal in höchsteigener Person erschien (ich war aber nicht zu Haus) und mir sein letztes Buch Lucas Rabesam, wunderhübsch gebunden, und mit folgender Inschrift, hinterließ: «Für die Fürstin Hohenlohe (?) zum Andenken an die mir immer lieber und tiefer werdenden Stunden mit ihr, aus denen ein Theil dieses Buches wuchs. In Verehrung und treuem Gedenken R. H. Bartsch.» Komisch, nicht? Den Roman habe ich im «Donauland» schon halb und halb gelesen - schien mir seine gewöhnlichen Vorzüge und Fehler zu haben. - Ich habe ihm gleich telegraphisch gedankt. -
Ich habe letzthin wieder Bési (Les possédés) von Dostojewsky gelesen - ach solche Titanen gibt es nicht mehr!
Sie haben meine Karte bekommen lieber D. S. nicht wahr, und meine innigsten Wünsche zu Neujahr? Tausend Dank für Ihren Brief - auch Alex hat mir aufgetragen Ihnen alles Erdenkliche zu sagen - 1918 - Gott gebe daß es wirklich das Friedensjahr wird.
MT