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“Dottor Serafico carissimo, sind Sie noch in München…”

Lettere di Marie Thurn und Taxis a Rainer Maria Rilke
Segnatura: 52
Data completa: 1912 ott. 27
Descrizione: Briefwechsel: n. 128
Trascrizione: Dottor Serafico carissimo - sind Sie noch in München, ganz traurig und perplex, neben Ihrer Luftheizung frierend - und nach Toledo denkend wo Ihre «Unbekannte» Sie unter der Brücke vergebens erwartet? Ich hoffe auf alle Fälle daß. man Ihnen diese Zeilen nachschickt! Also Ariadne auf Naxos war ein Erfolg, wenn auch kein colossaler - die Meinungen sehr getheilt - Unser guter Placci so gefüllt von Politik comme un petit pain de foie gras - dachte an nichts anderes als so bald als möglich in eine Hauptstadt zu kommen und Botschafter zu interviewn - Folge davon daß er zu Tode gelangweilt war jeden Abend in eine Probe hineingehen zu müssen - und alles abscheulich fand - was aber wirklich sehr ungerecht war. Ich fand beim Ankommen einen Zettel von ihm ich sollte um 4 Uhr im Hotel Marcuard mich einfinden wo uns Giulietta Mendelsohn vorsingen würde. Und das that sie. Ach Dottor Serafico wären Sie dabei gewesen (ansehen darf man sie nicht wenn sie singt, aber ein Dutzend Ohren könnte man haben). Sie sang Beethoven - zuerst eine große Arie «Ahi Perfido!» etwas opernhaftes, großes, leidenschaftliches fast italienisch klingend und dann «Trocknet nicht Thränen der ewigen Liebe» - und «der Tod» - Serafico diese zwei Lieder - diese zwei Wunder, - müssen Sie von ihr hören - Sie sang dann noch einiges, ein Liebling von mir, das «Piangete, aure piangete» von Carissimi (divin!) und einige entzückende Dinge von ihrem Groß­vater Gordigiani Dann stürzten wir nach Hause um zur Generalprobe bereit zu sein - Placci außer sich über die Grethe Wiesenthal, außer sich über. die Jeritza, außer sich über den Krieg - nur nicht außer sich über die Ariadne - Und alles war so schlecht arrangirt von diesen guten Stuttgarter(n) die glaube ich noch niemals so viel Menschen beisammen gesehen hatten (und es eigentlich eher übel nahmen daß man gekommen war) - es regnete in Strömen (das war freilich nicht ihre Bosheit) aber dafür, daß man in kleinen Schuhen und leichtem Abendkleid eine Ewigkeit vor den geschlossenen Thüren des Theaters stehen mußte - dann natürlich fürchterliche Hetze und Gedränge um sich Sitze zu erobern die nicht numerirt waren - dabei geschah es daß ein dicker Monsieur der sich einbildete auf meinen Platz ein Recht (?) zu haben sich um ein Haar mir auf die Schoos setzte und mich im vernichtenden Ton informirte daß er geglaubt hätte es wäre ein feines Publicum eingeladen - Pascha war nicht mit mir und Giulietta Mendelsohn machte mir zwar fort Zeichen sitzen zu bleiben - aber es wär mir ungemüthlich gewesen, so knöpfelte ich (moralisch) meinen Überrock auf und Placci verkündete in dröhnender Stimme einem «in Ehrfurcht ersterbenden» Saaldiener er solle sofort zum Freiherrn von Putlitz (dem Theater Intendanten) sich verfügen und ihn bitten für die Fürstin von Thurn und Taxis eine Loge aufmachen zu lassen - Ob da nicht eventuell die Kaiserl. Hoheit meiner Cousine mehr genützt hat als meine Durchlaucht weiß ich zwar nicht, aber die Loge wurde sofort eröffnet und wir segelten majestätisch hinaus - und waren dann wirklich viel besser installirt, bis auf das daß Placci und Giulietta die ganze Zeit plauschten, und ich sie hätte todtschlagen können. Eines ist sicher - die französischen Schauspieler können nicht Shakespeare geben - aber die Deutschen sind nicht für Moliere eingerichtet - obwohl wirklich außerordentlich gespielt wurde. Aber etwas zu lang außerdem. Es war schon gekürzt, und es kamen noch mehr Striche hinzu. Die Musik fand ich reizend, Decorationen und Costume delizios. Einzelne Dinge, besonders das banquet mit der tanzenden Wiesenthal wirklich zu hübsch - alles war aber viel besser am nächsten Tag - bei der Premiere; die letzte Decoration wo Bachus und Ariadne an einem Sternenhimmel stehen wie schon in ihre Gottheit entrückt, besonders gelungen. Dann senkt sich ein Silberzelt aus den Wolken und schließt sich mit tactvollem Scharfsinn im richtigen Moment beide verbergend; aber andererseits sollte sich die Gottheit absolut nicht geniren und scheint mir blamirt. - Es war wirklich viel Enthusiasmus wenn auch nicht so wie bei Electra oder dem Rosencavalier. Nach dem Theater wurde soupirt, ich saß mit Hofmannsthal, der sehr zufrieden schien obwohl einiges nicht sehr angenehm gewesen sein mag und dieser Esel von einem Theater Intend(anten) Freiherr v. Putlitz in einer schauervollen Rede von allen sprach nur nicht von Hofmannsthal, der schließlich zufälliger Weise das Stück geschrieben hatte. - Die -gute Mme Strauß mit einem riesigen Federbusch am Schädel sah aus wie die Königin Pomaré. - Mein Gott welche Epistel! und ich habe Ihnen nicht die Hälfte erzählt - ich habe als Dank für den Beethoven Ihre Elegien der G(iulietta) Mendelsohn vorgelesen; sie hat kein Sterbenswort davon verstanden. - Und was sagten Sie zur armen hübschen P(rinzes)sin Rupprecht und zum Krieg? oh! oh! oh! meine Constantinopler Moscheen - und dann werde ich doch sehr ängstlich trotz aller Friedensreden ... Übermorgen fahre ich nach Lautschin - hoffe bald von Ihnen zu hören, lieber Serafico und schicke Ihnen die allerherzlichsten Grüße MT Heute war ich im philharmonischen Concert - ein Mozart und die 5te Symphonie von Beeth(oven) unbeschreiblich. Ich hätte bald vergessen Ihnen zu sagen daß ich Kessler gesehen habe und ihm wegen der Büste von Rodin gesagt habe - es war leider nur ein Moment den ich ihn erwischen konnte - er wird sein Möglichstes thun, aber es scheint ein sehr schlechter Moment da R(odin) große Unannehmlichkeiten hat wegen seiner Freundin. Ich will noch Kessler schreiben. Wissen Sie seine Adresse; jetzt wo ich ihm's gesagt habe ist es ganz einfach:
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